Bevor ich dir praktische Tipps zum Schreiben deiner Abschlussarbeit gebe, möchte ich erst einige allgemeine Punkte ansprechen: Um eine gute Arbeit zu schreiben, hilft es nämlich, sich erstmal anzuschauen, wie Wissenschaft funktioniert. Denn nur so kannst du verstehen, worum es in deiner Abschlussarbeit tatsächlich geht und was deine Prüferin[1] von dir erwartet.
Das Wichtigste dabei zuerst: Wissenschaft schafft kein Wissen. Zumindest nicht in dem Sinne, dass die Ergebnisse von Wissenschaft absolut wahr und nicht weiter zu hinterfragen sind. Das ist zwar eigentlich das Ziel, doch war die Wissenschaft immer wieder überzeugt, sie hätte eine unumstößliche Wahrheit gefunden, nur um diese wenig später stürzen zu sehen. Ende des 19. Jahrhunderts dachten zum Beispiel die meisten Physikerinnen, ihre Wissenschaft hätte die gesamte Welt erklärt und es gäbe nur noch einige kleine Lücken zu schließen. Heute wissen wir: Damals ging es gerade erst los. Was als Wissenschaft veröffentlicht wird, ist also immer nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einem immer besseren Verständnis unserer Welt.
In den Wirtschaftswissenschaften kommt noch dazu, dass wir es nicht mit der Natur zu tun haben, die immer gültigen und konstanten Gesetzen folgt. Wir beschäftigen uns mit Menschen, die eigenwillig sind und sich verändern. Auch die Wirtschaftswissenschaften versuchen, die Welt zu verstehen oder besser zu machen, sie kennen aber noch weniger als die Naturwissenschaften ein klares „richtig” oder „falsch”: Worin unterscheidet sich die „Generation Z” tatsächlich von der „Generation X”? Und was von dem, was wir aus den 2000er-Jahren über Marketing oder Personalentwicklung wissen, können wir heute noch anwenden?
Wissenschaft ist Argumentation
Es gibt demnach für kein Thema und keine Frage die eine Liste „richtiger” Fakten und Argumente, die du in deiner Arbeit nur finden und auflisten musst. Stattdessen gibt es ganz viele unterschiedliche Positionen mit jeweils mehr oder weniger überzeugenden Begründungen. Diese Begründungen wiederum versuchen, möglichst objektiv zu sein, indem sie die Fragestellung tief und detailliert bearbeiten. Sie stellen nicht einfach Behauptungen auf, sondern bringen Belege, wägen ab und machen implizite Annahmen explizit.
Beispiel
Nicht: „Immer mehr Deutsche nutzen das Online-Shopping.”
Sondern: „Zwischen 2010 und 2014 stieg die Anzahl der Deutschen, die das Internet für das Online-Shopping nutzen, der Verbrauchs- und Medienanalyse (2014) zufolge von 21,6 auf 39,5 Millionen. Da also immer mehr Menschen in Deutschland das Online-Shopping nutzen,…”
Dabei können verschiedene Autorinnen bei sehr ähnlichen Fragen durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Sie gewichten und bewerten bestimmte Informationen einfach anders oder bewegen sich in unterschiedlichen Kontexten. Beide Antworten sollten aber eine in sich schlüssige Begründung haben, deren zentrale Elemente auch angemessen nachgewiesen werden müssen. Die Autorinnen sollten auch keine offensichtlichen Gegenargumente übersehen, sondern diese aufgreifen und in die Argumentation einbinden. Dabei hat die Argumentation das Ziel, dass jede Leserin zu demselben Schluss kommen sollte, wenn sie dieselben Fakten und Argumente betrachtet.
In einem wissenschaftlichen Text schreibt eine Autorin also nicht einfach auf, welche Wahrheit sie nach langer Suche gefunden hat, auch wenn das sprachlich manchmal so klingt. Sie entwickelt stattdessen eine fundierte eigene Position und versucht, diese den Leserinnen verständlich zu machen. Ein solcher Text ist demnach ein Beitrag zu einer großen Diskussion, die sich Schritt für Schritt der „Wahrheit” annähern oder zumindest Orientierung und praktische Hilfe bieten will.
Wissenschaft ist Diskussion
Daraus ergibt sich, dass „die Wissenschaft” in erster Linie eine große Diskussionsrunde ist, in der sich Forscherinnen über ein bestimmtes Thema austauschen. Sie suchen nach neuen Argumenten, entwickeln Ideen und versuchen auf diese Weise, einen kleinen Teil der Welt besser zu verstehen. Die Diskussion folgt dabei relativ engen Regeln, um das Arbeiten zu vereinfachen und damit sich gute Begründungen und Argumente durchsetzen können. Diese Regeln betreffen zum Beispiel den Aufbau von Texten (s. Tipp 4), die verwendete Sprache (s. Tipp 8) oder die Form, in der auf die Texte anderer Autorinnen verwiesen wird (s. Tipp 9).
Beim wissenschaftlichen Schreiben geht es also nicht nur darum, gesammeltes Wissen irgendwie aufzuschreiben, sondern um Kommunikation. Wenn du wissenschaftlich schreibst, versuchst du, deine Position zu einer bestimmten Frage zu begründen – also zu zeigen, warum dich bestimmte Fakten und Argumente dazu bringen, einen Sachverhalt so und nicht anders einzuschätzen. Neben der inhaltlichen Ebene geht es also auch darum, deine Gedanken verständlich zu machen und im Idealfall deine Leserinnen zu überzeugen.
Deine Abschlussarbeit ist dein Beitrag zu dieser großen wissenschaftlichen Diskussion. Sie soll kein Lehrbuch sein, das alles verfügbare „Wissen” zu einem Thema zusammenträgt und auch keine Wiederholung dessen, „was bisher geschah”. Sie soll argumentieren, eine Position beziehen und begründen. Sie soll dabei in die Tiefe gehen und zeigen, dass du zur Expertin für ein kleines Thema geworden bist und eine fundierte Position entwickeln kannst.
Dabei solltest du aber auch deiner eigenen Argumentation gegenüber kritisch sein. Es geht nicht darum, dass deine Position absolut unangreifbar und ohne Lücken ist. Es geht darum, dass du die offensichtlichsten Gegenargumente oder Schwierigkeiten ansprichst und einen Weg findest, mit ihnen umzugehen. Denn es wirkt nicht sonderlich überzeugend, wenn deine Leserinnen schon beim Lesen deines Textes merken, dass du wichtige Aspekte nicht berücksichtigt hast.
Gerade bei Themen, die aktuell in aller Munde sind – wie „Blockchain“, „Industrie 4.0“ oder „Generation Z“ – ist es außerdem wichtig, dass du nicht auf den PR-Sprech von Beratern oder auch der Politik hereinfällst, sondern ganz genau schaust, welche Substanz wirklich dahintersteckt:
- „Blockchain“: Gibt es echte Beispiele, bei denen Blockchain „revolutionär“ war? Wer verdient abseits von Beratung und Spekulation wirklich Geld damit? Was sagen die Kritiker?
- „Industrie 4.0“: Um welchen Aspekt genau geht es?
- „Generation X/Y/Z“: Gibt es ernsthafte Studien, die einen Wertewandel in den letzten zwanzig Jahren belegen und wenn ja, in welchen Bereichen?
Auf den Schultern von Riesen
Damit du so eine fundierte Position entwickeln kannst, die an die wissenschaftliche Diskussion anschließt, musst du diese Diskussion natürlich gut kennen. Stell dir auch hier wieder eine große Diskussionsrunde vor, an der du dich beteiligen willst. Sicherlich möchtest du nicht dadurch auffallen, dass du einfach das wiederholst, was jemand anders vor zehn Minuten gesagt hat und was vielleicht sogar in der Runde schon widerlegt wurde.
Aus diesem Grund steht am Anfang deiner Arbeit eine gründliche Literaturrecherche. Dabei geht es nicht darum, „Beweise” für deine eigenen Ideen zu finden, sondern darum, die bisherige Diskussion kennenzulernen. Einen Teil davon hast du vielleicht schon an der Hochschule gehört, die notwendige Tiefe kannst du aber nur über eigene Recherche erreichen. So findest du nach und nach raus, was in dieser Diskussion als gesichertes Wissen akzeptiert ist, worüber gestritten wird und was aktuelle Themen und Fragen sind, die du vielleicht in deiner Arbeit aufgreifen könntest (s. Tipp 2). Du lernst also, auf die Schulter welcher Riesen du dich stellen kannst.
Hier kommen dann auch die gefürchteten Quellenangaben ins Spiel: Auch wenn mittlerweile immer betont wird, du müsstest sie angeben, um dich nicht mit fremden Federn zu schmücken, geht es im Kern hier doch um etwas anderes. Und zwar darum, dass deine Arbeit nicht für sich alleine steht, sondern im Zusammenhang mit vielen anderen Arbeiten in diesem Feld. Durch die Quellenangaben zeigst du, dass du deine Arbeit in diesem Netz verorten kannst. In einer Diskussion würdest du ja auch sagen „Wie Amelie gerade gesagt hat, …” oder „Da würde ich Orhan widersprechen”.
Beispiel
Während Schulze[1] vorschlägt, die relevanten Faktoren in drei Dimensionen zu strukturieren, argumentiert Maier[2] gar für vier unterschiedliche Kategorien. Dabei berücksichtigt er im Gegensatz zu Schulze, dass …
Denk daran, dass du in deiner Arbeit zeigen sollst, dass du eine begründete und abwägende Position zu einer konkreten Frage entwickeln kannst. Dabei muss auch der Text professionellen Ansprüchen genügen: also für Leserinnen verständlich und nachvollziehbar sein sowie fachliche Expertise zeigen. Es reicht also nicht, Allgemeinplätze und grobe Ideen aneinanderzureihen. Vielmehr brauchst du ganz konkrete Argumente, die du möglichst gut belegen kannst und du solltest eben auch auf die Argumente eingehen, die andere Autorinnen in der Diskussion schon aufgeworfen haben.
[1] Zur leichten Irritation der Leserin wird in diesem Text das generische Femininum verwendet. Andere Formen geschlechtlicher Identität sind natürlich immer „mitgemeint“.
Alle 10 Tipps:
Tipp 1: Erarbeite eine eigene Position.
Tipp 2: Beantworte eine Frage.
Tipp 3: Gehe in die Tiefe, nicht in die Breite.
Tipp 4: Teile deine Arbeit in vier Abschnitte.
Tipp 5: Nutze Absätze, um deinen Text zu strukturieren.
Tipp 6: Denk an deine Leserinnen.
Tipp 7: Halte dich selbst nicht vom Schreiben ab.
Tipp 8: Nutze klare und präzise Sprache.
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