RSS ist das alte neue Twitter: eine Einführung


Twitter ist ein reißender Strom. Ich folge 750 Leuten und innerhalb weniger Offline-Stunden sammeln sich einige hundert Nachrichten an. Wenn ich dann wieder online bin, heißt es: nacharbeiten oder womöglich etwas Interessantes verpassen. Nachzuarbeiten ist aufwändig, und so läuft es üblicherweise darauf hinaus, dass ich nicht mitbekomme, was passiert, während ich offline war.

„Das Wichtige wird schon seinen Weg zu mir finden“, ist die Maxime. Das mag funktionieren, doch ist das nicht ein Zeichen von Resignation und mangelnder (Filter-)Souveränität? Ich steuere dann nicht geplant, was ich lese und wann. Ich beschränke mich auf das, was zufällig gerade an mir vorbeischwimmt, wenn ich online bin.

Das führt dann auch dazu, dass viele auf Twitter Texte teilen, die sie nicht gelesen haben, weil gerade jetzt die Zeit fehlt. Wir müssen einfach sofort reagieren, da die Beiträge sonst in den Untiefen der Timeline verschwinden. So entstehen Aufregung und Hektik, die differenzierte Diskussionen wirksamer verhindern als die Begrenzung auf 280 Zeichen.

Dieses Problem haben alle sozialen Medien, die chronologisch sortiert sind. Der einzige Ausweg daraus scheint aktuell der gefürchtete „Algorithmus“ zu sein: Aus meinem Verhalten und den Interessen des Plattformbetreibers erstellt der eine „maßgeschneiderte“ Zusammenfassung. Das läuft aber intransparent ab und kann mich selten überzeugen.

Es gibt viele Artikel darüber, dass es besser wäre, Texte, Videos und Fotos über unsere eigene Infrastruktur zu veröffentlichen. Sollten wir dann nicht auch darüber nachdenken, das Entdecken und den Konsum selbst in die Hand zu nehmen? Dann können wir unsere eigenen Regeln setzen, unser eigenes Tempo bestimmen und so die Verantwortung für unsere Information Diet übernehmen.

Die Wiederauferstehung von RSS

Das wichtigste Werkzeug dafür gibt es schon lange und es ist unabhängig von konkreten Plattformen: RSS, ein Dateiformat, das es ermöglicht, Neuigkeiten von beliebig vielen Webseiten zu bekommen, ohne sie alle einzeln ansurfen zu müssen. Spezielle Programme – so genannte RSS-Reader – rufen diese Datei von einer Webseite regelmäßig ab und schauen, ob sich was geändert hat. Diese Liste neuer Artikel kann ich dann abrufen, wann immer ich möchte. So verpasse ich keinen Text und muss nicht genau in dem Moment online sein, in dem er auf Twitter an mir vorbeiläuft.

Früher™ hatte RSS für mich genau die Funktion inne, die jetzt Twitter und/oder Facebook übernehmen: Es informierte mich über Texte und Materialien auf den Seiten, die mich interessierten. Doch dann stellte Google seinen legendären Google Reader ein und ich wurde bei Twitter aktiv. Ich suchte nicht länger selbst nach interessanten Inhalten und Quellen und folgte diesen über längere Zeit. Stattdessen ließ ich mir von meiner Timeline jeden Tag hunderte von Links auf mein Handy spülen.

Twitter nutzt eine Push-Logik, nach der der Sender einer Nachricht bestimmt, wann ich diese wahrnehme. Nach einigen Minuten oder vielleicht auch mal Stunden ist die Nachricht dann faktisch verschwunden. RSS basiert hingegen auf einer Pull-Logik: Neuigkeiten werden im Reader sortiert, gespeichert und können nach Schlagwörtern oder anderen Kriterien gefiltert werden. RSS-Reader versammeln ausgewählte Quellen, schaffen eine gewisse Bindung und Kontinuität und helfen mir so, nichts zu verpassen. Ich kann die Texte lesen und die Videos schauen, wenn ich Zeit und Muße dafür habe, und dann angemessen reagieren.

So weiß ich, dass ich von meinen sorgfältig ausgewählten Quellen alle Inhalte mitbekomme, stoße aber vielleicht weniger auf zufällig interessante Inhalte aus anderen Quellen. Aber habe ich daran wirklich einen Mangel? Und ist mir nicht mehr damit geholfen, wenn mir zehn ausgewählte Blogger jede Woche je fünf Links empfehlen und ich diese Empfehlung auch wahrnehmen kann, als wenn jeden Tag hunderte Links an mir vorbeifließen? Dazu müssten wir natürlich alle wieder anfangen, Links in unseren Blogs zu empfehlen…

Wie funktioniert RSS?

Um RSS nutzen zu können, müsst ihr nicht programmieren können oder genau verstehen, wie das Internet funktioniert. Es reicht, wenn ihr einen Browser bedienen und eine Internetadresse per Copy und Paste übertragen könnt. Das technische Grundprinzip ist einfach: Eine Webseite stellt eine Adresse zur Verfügung, unter der eine RSS-Datei abrufbar ist. In dieser Datei stehen dann in einem maschinenlesbaren Format die Informationen über die letzten 10, 20 oder 30 Artikel auf dieser Webseite.

Ihr müsst euch jetzt „nur“ einen der mittlerweile wieder zahlreicheren Feedreader aussuchen, einen Account einrichten und anfangen, Feeds zu abonnieren. Der vermutlich aktuell verbreiteteste Feed-Reader ist Feedly, das damals vermutlich die meisten User vom Google Reader geerbt hat. Ich nutze mittlerweile allerdings Inoreader, das mir von der Darstellung besser gefällt und auch umfangreichere Möglichkeiten bietet, die Inhalte in den Feeds weiter zu verarbeiten.

Screenshot der Startseite des RSS-Readers "Inoreader"
Startseite des RSS-Readers „Inoreader“

Denn das ist das schöne an RSS-Feeds: Es handelt sich dabei um einfache Textdateien, in denen – je nach Webseite – ganze Artikel oder zumindest kurze Ausschnitte dargestellt werden. Die Inhalte sind dabei nicht verschlüsselt oder gesperrt. Sie können also von Skripten und Programmen nahezu beliebig weiter verarbeitet werden. Auch sind RSS-Feeds nicht auf klassische Artikel begrenzt: Ihr könnt zum Beispiel eure Goodreads-Timeline per Feed abonnieren oder die Inhaltsverzeichnisse wissenschaftlicher Fachzeitschriften. Der Betreiber des entsprechenden Dienstes muss halt nur einen Feed anbieten. Auch Podcasts basieren auf RSS-Feeds, in denen der Link zu einer Audio-Datei angegeben ist.

Wie finde ich auf einer Seite die Adresse des RSS-Feeds?

Am einfachsten ist das, wenn der Betreiber einer Seite den Link zum Feed auf der Seite direkt verlinkt. Diese Links findet ihr oft bei den Social-Media-Links, in der Seitenleiste oder ganz unten auf einer Seite im Footer. Oft verstecken sich die Links dabei hinter einem Symbol, das ein wenig nach W-LAN aussieht:

Wenn ihr selbst einen Blog oder eine Webseite betreibt, schaut mal nach, ob der Link auf eurer Seite angezeigt wird. Wenn nicht, bindet ihn doch ein wenig prominenter ein.

Da ja mittlerweile gefühlt das halbe Internet auf WordPress basiert, gibt es einen weiteren Trick, wie ihr die Adresse eines Feeds herausfinden könnt: Hängt an die normale Adresse der Hauptseite (oder einer Kategorie, oder eines Schlagworts oder eine_r Autor_in) einfach mal „/feed“ an. Also zum Beispiel „nilsmueller.info/feed“. Das ist der WordPress-Standard und funktioniert meist selbst dann, wenn die Betreiberin der Seite keine Ahnung hat, dass sie einen Feed anbietet.

Wenn auch das nicht klappt, gibt es einen etwas technischeren Weg, die Adresse herauszufinden: Dazu klickt ihr mit der rechten Maustaste auf die Seite und wählt dann „Seitenquelltext anzeigen“ (oder etwas Ähnliches) aus. Dann könnt ihr – meist mit Strg + F – in dem Quelltext nach „rss“ suchen und findet dahinter oft die Adresse eines Feeds.

Die Feed-Adresse im Quelltext finden
Die Feed-Adresse im Quelltext finden

Schließlich bieten auch manche Feed-Reader Komfortfunktionen, um euch das Finden einer Feed-Adresse zu erleichtern: Es gibt zum Beispiel Browser-Plugins, die die Adresse – soweit vorhanden – automatisch aus der Seite auslesen können. Größere Feed-Reader bieten manchmal auch ein Verzeichnis aller auf ihrer Plattform abonnierter Feeds an, das ihr direkt auf der Plattform durchsuchen könnt.

Was mache ich mit den ganzen ungelesenen Artikeln in meinem Reader?

Je nachdem, welche und wie viele Seiten ihr abonniert habt, sammeln sich innerhalb kurzer Zeit schnell 50, 100 oder sogar mehr ungelesene Artikel in eurem Reader an. Die könnt ihr dann ganz klassisch „abarbeiten“: Den Titel und evtl. den Teaser überfliegen und dann entscheiden, welche Artikel ihr gleich lest, welche ihr euch „für später“ abspeichert und welche ihr einfach ignoriert. Ich würde euch auf jeden Fall empfehlen, hier nochmal eine Auswahl zu treffen und großzügig Artikel als gelesen zu markieren.

Viele Feed-Reader speichern alle Artikel in einem Archiv ab, das ihr später nochmal durchsuchen könnt. Es geht hier also nichts verloren – ganz im Gegensatz zu Twitter oder Facebook. Meist könnt ihr eure Feeds auch in Ordnern gruppieren und damit nochmal mehr Ordnung schaffen. Einige Reader bieten auch die Option an, Feeds nach bestimmten Schlagwörtern vorzufiltern.

Blick in meinen Feed-Reader
Blick in meinen Feed-Reader (Inoreader)

Auf diese Weise könnt ihr euch im Laufe der Zeit eure eigene Informationszentrale schaffen. Ihr verpasst nichts und könnt gleichzeitig selbst ganz genau bestimmen, wann und wie ihr euch mit den Inhalten auseinandersetzen wollt. Wenn ihr dabei auf Schwierigkeiten oder Fragen stoßen solltet, fragt einfach hier in den Kommentaren nach. Ihr könnt mich natürlich auch auf Twitter ansprechen, aber dann sind Frage und Antwort ganz schnell wieder im Orkus verschwunden. Hier können Andere sie jederzeit nachlesen.

In diesem Sinne: Machen wir uns gemeinsam auf den Weg (zurück?) zu einem entspannteren und vielleicht auch wieder gehaltvolleren Internet.

In

6 Antworten

  1. Danke für das Plädoyer für RSS. Ich selbst benutze seit Jahren einen RSS-Reader und frage mich die ganze Zeit, wie man ohne solchen den Überblick behalten soll. Es gibt Feeds, die lese ich mehr oder weniger in Echtzeit, andere täglich, andere wöchentlich oder noch seltener. Kann mir mein Leben nicht mehr ohne vorstellen 🙂

  2. […] Der gute Nils Müller hält mit vollem Recht ein ausführliches Plädoyer für den guten alten RSS-Feed. […]

  3. […] RSS ist das alte neue Twitter: eine Einführung […]

  4. […] zu machen. Und sei es nur für den Einzelnen. Dieser Linktipp soll jetzt aber nicht ein weiteres Plädoyer für RSS werden. Ich will euch stattdessen auf einen sehr interessanten Artikel auf Vice aufmerksam machen, […]

  5. […] im Sinne meines Blogbeitrags von 2018 – RSS ist das alte neue Twitter – wollte ich in diesem Jahr wieder ein wenig zurück zu den klassischeren Blog- und […]

  6. […] Podcasts außerhalb der großen Plattformen auf RSS-Feeds basieren, haben sich rein textbasierte Feeds in diesem Zusammenhang nie durchgesetzt, auch wenn sie […]

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