Der erste Entwurf darf scheiße sein. Er sollte es sogar.


Ein wissenschaftlicher Text muss argumentativ geschliffen, präzise formuliert und formal korrekt sein. Wenn du all diese Ziele jedoch gleich im ersten Entwurf erfüllen willst, machst du dir das Leben unnötig schwer. Wesentlich einfacher ist es, den ersten Entwurf als Rohversion zu verstehen, die in erster Linie dazu dient, deine Gedanken möglichst schnell zu Papier zu bekommen.

Selbst für Wissenschaftler und Autoren mit jahrelanger Erfahrung im (wissenschaftlichen) Schreiben ist es jedes Mal aufs Neue schwierig, die zahlreichen Ideen im Kopf in einen zusammenhängen und für den Leser verständlichen Text zu gießen: Welche Aspekte bespreche ich? Was muss ich ausführlicher erklären? Was kann ich auslassen? Wie schlage ich den Bogen von Argument A zu Argument B?

All diese Fragen muss der Autor für sich beantworten, um aus dem vernetzten Geflecht aus Ideen und Argumenten im Kopf einen linearen Text zu formen, in dem ein Wort auf das andere folgen muss.

Das alles zu bedenken ist schwierig genug, ohne dass man sich dabei noch Gedanken über eine möglichst elegante Formulierung oder die korrekte Rechtschreibung von “Rhythmus” machen muss. Daher solltet ihr insbesondere am Anfang den eigentlichen Schreibprozess nicht überfrachten.

Shitty first drafts

Die Autorin Ann Lamott hat in ihrem (äußerst empfehlenswerten) Schreibratgeber Bird by Bird den treffenden Begriff des shitty first draft geprägt, eines ersten Entwurfs, der voller Rechtschreibfehler, fragmentarischer Sätze und inhaltlicher Sprünge ist. Aber er beinhaltet das magische Wort “Ende”. Er ist die erste, extrem rohe aber inhaltlich vollständige Version eines Textes, die den Autor vom ersten bis zum letzten Wort führt.

Dazu gilt es, den Text “einfach” runterzuschreiben, ohne sich mit Formulierungen, Rechtschreibung oder Korrekturen herumzuplagen. Reiht also einfach Wort an Wort und versucht dabei möglichst wenig zu korrigieren oder schon geschriebene Textstellen zu überarbeiten. Dafür ist später immer noch Zeit.

Dabei kann euch eine vorab erstellte Struktur durchaus helfen, aber sie ersetzt nicht den eigentlichen Schreibprozess, in dem aus Stichpunkten ein Fließtext wird.

Wenn dein shitty first draft fertig ist, widerstehe der Versuchung, diesen als deine fertige Arbeit zu betrachten. Das ist er nicht. Er ist genau das, was sein Name verspricht: ein shitty first draft. Joan Bolker nennt ihn daher auch zero draft. Diesen Text bekommt niemand außer dir selbst zu lesen; kein Testleser und kein Korrekturleser! Er dient ausschließlich zur Klärung deiner Gedanken und als Grundlage oder Steinbruch für den eigentlichen Text.

Weniger Perfektionismus führt zu besseren Texten

Wenn du gleich im ersten Anlauf einen perfekten Text produzieren willst, besteht die Gefahr, dass du dich unnötig lange an Details aufhältst und Hemmungen hast, überhaupt mit dem Schreiben zu beginnen. Denn wenn jeder Satz sofort perfekt sein muss, ist jedes getippte Wort mit großen Erwartungen aufgeladen und jede notwendige Korrektur ein persönliches Versagen.

In einem shitty first draft sind Tippfehler egal, sind Wortwiederholungen egal und auch ein übermäßiger Nominalstil. Es gilt nur einen Text zu produzieren, der deine Argumente und deine Ideen transportiert – und zwar möglichst viel davon. Einfach schreiben, nicht korrigieren oder überarbeiten. Im zweiten, dritten und vierten Schritt ist noch genug Zeit dafür.

Auf diese Weise kannst du in kurzer Zeit viel Text produzieren. Der ist am Anfang zwar meist nicht brauchbar, aber du hast einen gut ausgearbeiteten Startpunkt. Manche Passagen werden lediglich eine leichte Überarbeitung und Korrektur brauchen, andere wirst du nahezu vollständig neu schreiben müssen, aber du kannst nun mit konkretem Material arbeiten und nicht mehr nur mit dem leeren Blatt.

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(Bild: FreeImages.com/jarpur)

Eine Antwort

  1. […] dass der erste Entwurf jedoch keineswegs druckreif sein muss, habe ich dir bereits gezeigt. Du verfügst nur über eine begrenzte Menge an Energie, die du an […]

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