Einen Text beginnt man am besten mit dem ersten Wort. Ist doch offensichtlich, oder? Eben nicht. Um einen guten Text zu schreiben, beginnt man am besten mit seiner Kernaussage, der einen Idee, um die er sich drehen und die er dem Leser vermitteln soll. Dieser Artikel zeigt euch, wie ihr aus der Kernidee nach und nach einen Text entwickelt.
Am Anfang steht also die Idee, die ihr nach ausführlicher Literaturrecherche, empirischen Erhebungen und/oder experimenteller Überprüfung erarbeitet habt. Diese Idee ist die eine Aussage, die ihr dem Leser vermitteln und wegen der ihr überhaupt einen Text schreiben wollt.
Ihr habt diese Idee schon lange in eurem Kopf gewälzt und das Gefühl, sie voll und ganz durchdrungen zu haben. Doch wenn ihr euch dann vor das leere Blatt setzt und die ersten Sätze schreiben wollt, fällt euch auf einmal auf, wie schwierig es ist, diese Gedanken in einen Text zu übertragen, in dem ihr ganz langweilig ein Wort hinter das nächste setzen müsst.
Das liegt daran, dass wir unglaublich vernetzt denken und im Kopf ständig mehrere Gedanken zusammen denken und verknüpfen. In einem Text geht das nicht. Hier müssen wir Schritt für Schritt einen Gedanken entwickeln und dabei immer auch im Hinterkopf haben, dass der Leser viel weniger über unsere Idee weiß als wir selbst.
1. Die Kernidee ausformulieren
Um diese Idee vermitteln zu können, müssen wir uns im ersten Schritt sehr klar darüber werden, was eigentlich die Kernaussage unseres Textes werden soll. Dazu überlegt ihr euch, wie ihr eure Arbeit in einer SMS (160 Zeichen) oder einem Tweet (140 Zeichen) zusammenfassen könntet. Egal ob für drei Seiten Essay, 15 Seiten Hausarbeit oder 300 Seiten Doktorarbeit: Die Kernaussage solltet ihr für euch immer möglichst knapp und kurz zusammenfassen.
Und zwar schriftlich. Nicht nur als einen weiteren flüchtigen Gedanken im Kopf, der sich sofort mit anderen verbindet, sondern so richtig auf dem Bildschirm oder sogar Papier. Nur so zwingt ihr euch, sie in eine Form zu bringen, die auch in einem Text funktioniert.
Beispiel
Bei einer meiner Hausarbeiten war dies zum Beispiel der Satz: “Die Demokratisierung kann ethnische Konflikte in einem Staat verstärken.” Sehr einfach, sehr konkret und vollkommen ausreichend als Kern einer 25-seitigen Arbeit.
Nur ein kurzer Satz? Ist das nicht viel zu einfach? Nein, dieser Satz muss das Resultat ausführlicher inhaltlicher Auseinandersetzung mit eurem Thema sein, steht also am Ende der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit.
2. Struktur der Kapitel und Unterkapitel entwickeln
Ihr habt eure Kernidee jetzt in einer hinreichend konkreten Form fixiert. Nun könnt ihr euch daran machen, die konkrete Struktur eurer Kapitel und Unterkapitel zu entwickeln.
Dazu greift ihr auf die klassischen Elemente einer wissenschaftlichen Arbeit zurück – Einleitung, Stand der Forschung, eigene Herangehensweise, empirische Untersuchung, Interpretation und Einordnung der Ergebnisse usw. – und überlegt euch die zentralen Themen und Aussagen der entsprechenden Kapitel. Aus denen macht ihr dann die Überschriften für Kapitel und Unterkapitel.
Beispiel
Die Struktur dieser Hausarbeit sah beispielsweise so aus:
- Einleitung
- Gewalt, Deprivation und Mobilisierung
- Gewalt
- Relative Deprivation
- Ethnische Mobilisierung
- Demokratisierung und Mobilisierung
- Analyserahmen
- Der Konflikt in Côte d’Ivoire
- Das ivorische Wirtschaftswunder (1960 – 1979)
- Wirtschaftskrise und erste Reformen (1980 – 1993)
- Nachfolgestreit, Putsch und Bürgerkrieg (1993 – 2002)
- Demokratisierung als Katalysator für ethnische Konflikte
Mit dieser Struktur habt ihr jetzt eine gute Grundlage für den nächsten Schritt: die konkrete Übertragung eurer Argumentation in eine lineare Form – also ein Argument nach dem anderen.
3. Die Argumentation in einzelnen Kernsätzen skizzieren
Bisher habt ihr noch keinen Text geschrieben, sondern eure Idee in ein Grundgerüst für euren Text überführt. In diesem dritten Schritt baut ihr diese Struktur weiter aus, indem ihr einzelne Punkte eures Arguments wiederum in einem einzelnen Satz ausformuliert.
Hier gilt es also, die gerade geschaffene leere Hülle mit Leben zu füllen und zu entwickeln, wie ihr den Leser von eurem Ausgangspunkt zu euren Ergebnissen führen wollt. Für jeden Schritt schreibt ihr also erneut einen möglichst kurzen und knappen Satz.
Dabei könnt ihr erkennen, wie die einzelnen Argumente zusammenfallen. Wie ihr also vom ersten Schritt zum zweiten und dann zu jedem weiteren kommt. An dieser Stelle macht ihr die eigentliche Arbeit, die vernetzten Gedanken in eurem Kopf in einen linearen Text zu übertragen. Ihr müsst euch aber noch nicht mit konkreten Formulierungen, eleganten Überleitungen oder treffenden Sprachbildern auseinandersetzen, sondern könnt euch auf die eigentliche Aussage konzentrieren.
Beispiel
2.2 Relative Deprivation
Subjektives Empfinden von Benachteiligung hängt von Vergleichsgruppe ab (Stouffer et al. 1949/1965).
Egoistische Deprivation vergleicht innerhalb der eigenen Gruppe (Runciman 1980/1966; Major 1994).
Fraternalistische Deprivation vergleicht die eigene Gruppe mit anderen Gruppen.
ED und FD unterschiedliche Konzepte, Spillover aber möglich.
FD könnte als Erklärung für Konflikte fungieren, greift aber zu kurz. (Stewart 2002)
FD schafft Legitimationspotenzial, das durch Akteure aktiviert werden kann. (Gurney & Tierney 1982)
Im Idealfall habt ihr am Ende für jede Textseite drei bis vier Aussagen formuliert, auf deren Grundlage ihr dann euren eigentlichen Text ausformulieren könnt. Ihr habt damit den äußerst schwierigen Schritt vom kreativen Chaos im Kopf zu einer linearen Argumentation gemacht, der es euch erst erlaubt, einem Leser eure Gedanken zu vermitteln.
4. Um jeden dieser Kernsätze herum einen Absatz schreiben
Bisher ging es nur um das Formulieren einzelner Aussagen und die Struktur. Erst in diesem vierten Schritt fangt ihr wirklich an, einen fließenden Text zu schreiben.
Dazu nehmt ihr nach und nach jede dieser Aussagen und schreibt auf ihrer Grundlage einen einzelnen Absatz. Dabei ist es wichtig, den Absatz mit dem vorherigen zu verbinden und bereits den nächsten im Blick zu haben. Denn auch Absätze haben eine Einleitung, einen Hauptteil und einen Schluss, wobei Einleitung und Schluss oft nur aus einem Halbsatz bestehen.
Bei dieser Arbeit werdet ihr immer wieder merken, dass eine andere Reihenfolge der Aussagen sinnvoller wäre oder ihr einen wichtigen Punkt vergessen habt. Verändert dann ruhig die Struktur, fügt eine weitere Aussage ein oder zieht mehrere zusammen. Die vorformulierten Aussagen sollen euch als Steinbruch und als Leitlinie dienen und nicht fesseln oder einengen.
Wenn es euch schwer fällt, Einleitung und Schluss eines Absatzes zu schreiben, ist dies oft ein Zeichen dafür, dass eure Argumentation noch nicht passt. Überlegt euch dann, wie ihr sie verbessern könnt. Versucht dabei aber immer, nicht zu weit über den Absatz, den ihr gerade schreibt, hinauszudenken, sondern beschränkt euch auf die engere Umgebung.
Beispiel
Aus Fraternalistische Deprivation vergleicht die eigene Gruppe mit anderen Gruppen. wird dann:
„Anders stellt sich die Situation bei der fraternalistischen Deprivation dar. Hier versteht sich das Individuum eben nicht als einzelne Person, sondern als Teil einer gesellschaftlichen Gruppe. Dementsprechend vergleicht es auch nicht seine individuelle Position innerhalb der Gruppe, sondern die Position seiner Gruppe innerhalb der gesamten Gesellschaft. So lässt sich die Frauenrechtsbewegung seit den 1960er Jahren, als Ergebnis fraternalistischer Deprivation verstehen, da hier die allgemein schlechtere Stellung der Frauen gegenüber den Männern Grund für die Deprivation ist. An dieser Stelle zeigt sich auch, dass in fraternalistischer Deprivation ein deutlich größeres Potenzial für gesellschaftlichen Konflikt steckt (Dubé & Guimond 1986, Dion 1986).“ (Müller, Nils (2007): Demokratisierung als Katalysator für ethnische Konflikte – Der Fall Côte d’Ivoire. Hausarbeit für das Hauptseminar Interregionale Ungleichheiten und Konflikte)
Wenn ihr diesen Schritt abgeschlossen habt, habt ihr einen ersten Entwurf eurer Arbeit vor euch liegen. Herzlichen Glückwunsch!
Dieser erste Entwurf ist aber keinesfalls bereits eure abgeschlossene Arbeit. Nun müsst ihr den Text überarbeiten, überarbeiten und überarbeiten. Doch dazu mehr an anderer Stelle.
Wenn ihr euch an diesen vier Schritten orientiert, wird euch das Schreiben wesentlich leichter fallen. Ihr wisst dann immer, wo ihr gerade seid und was ihr eigentlich gerade schreiben wollt und schwebt nicht im leeren Raum unendlicher Möglichkeiten. Außerdem habt ihr eine klare Struktur, was euren Text für die Leser wesentlich einfacher nachvollziehbar macht.
(Bild: Florian Klauer)
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