Zusammenfassung der Tagung “wissenschaftliche Textkompetenz fördern”


Nachdem ich mittlerweile seit gut neun Monaten an der FH Bielefeld in der Lehreinheit Wirtschaft für die Schreibberatung verantwortlich bin, war es an der Zeit, auch mal einen Blick in die deutschsprachige Community in diesem Themenfeld zu werfen. Dazu bot sich die Tagung wissenschaftliche Textkompetenz fördern an, die das Schreibzentrum der Ruhr-Universität Bochum in Zusammenarbeit mit RuhrFutur und MERCUR am 12. Dezember in Bochum veranstaltet hat.

Neben vier äußerst interessanten Vorträgen gab es dabei noch einen praktischen Workshop und eine Reihe von Infoständen. Hier haben auch wir unser Netzwerk Informations- und Schreibkompetenz im Projekt Optimierung von Studienverläufen vorgestellt. Mindestens ebenso wichtig waren für mich aber die Eindrücke und Einblicke in den Stand der Diskussion zum Thema Textkompetenz an (deutschen) Schulen und Hochschulen.

Schreibdidaktische Perspektiven auf die Förderung wissenschaftlicher Textkompetenz (M. Wiethoff)

Den Anfang machte die Leiterin des Schreibzentrums der Ruhr-Uni Bochum, Maike Wiethoff mit einem Überblick über grundlegende Problemstellungen und theoretische Ansätze zum Erwerb wissenschaftlicher Textkompetenz.

Nicht fehlen durfte dabei der Hinweis, dass das Lamentieren über die – angeblich – schrumpfende Textkompetenz der Studierenden keineswegs neu ist, sondern in jeder Generation zu finden war. Sie hielt jedoch auch fest, dass durch den breiteren Hochschulzugang die Startvoraussetzungen heutzutage sicherlich besonders heterogen ausfallen. Für sie ist damit auch genau der Umgang mit dieser Heterogenität die spezifische Herausforderung, vor der wir uns sehen.

Es folgte ein Überblick über theoretische Ansätze zum Prozess des Erwerbs wissenschaftlicher Textkompetenz. Dabei sind sich alle Theorien einig, dass dieser Erwerb als langer – möglicherweise lebenslanger – Prozess der Aneignung und der Enkulturation in spezifische(n) Denk- und Schreibgemeinschaften zu verstehen ist. Dabei beginnen Studierende damit, vorhandene Texte zu imitieren und sich in erster Linie auf die gegenständliche Dimension eines Themas zu beziehen. Erst später sind sie in der Lage, Ideen und Gedanken sprachlich zu transformieren und schließlich kontextuell passend zu formulieren. Dabei beziehen sie dann auch immer stärker die diskursiven und die argumentativem Dimension des wissenschaftlichen Prozesses mit ein.

Insgesamt hat mich dieser Vortrag – wie auch alle anderen – in meinen bisherigen Erfahrungen bestärkt, aber eben auch aufgezeigt, dass die Schwierigkeiten, die meine Studierenden haben, weder besonders groß noch besonders ungewöhnlich sind. Vielmehr sind sie der übliche Ausgangspunkt für einen Lernprozess, der an den Hochschulen bislang zu wenig problematisiert und begleitet wird.

Außerdem fand ich es sehr schön zu sehen, dass gleich im Eröffnungsvortrag der Erwerb wissenschaftlicher Textkompetenz nicht in erster Linie als sprachliches Problem gedacht wird, sondern von Anfang an soziologische und psychologische Aspekte mitgedacht werden.

Schulische Schreibqualifizierung und universitäre Textanforderungen – Überlegungen zum Übergangsmanagement (K. Ehlich)

Mit Konrad Ehlich folgte einer der großen Namen der deutschsprachigen Schreibdidaktik, der mit seinem Konzept der alltäglichen Wissenschaftssprache einen zentralen Baustein zu unserer täglichen Arbeit beigetragen hat. Er problematisierte in seinem Vortrag die sprachliche Dimension des Übergangs zwischen Schule und Hochschule.

Sein Ausgangspunkt war dabei, dass Schule wie Hochschule durch und durch sprachliche Institutionen sind, diese Prägung aber inhaltlich nahezu nie explizit reflektiert oder problematisiert wird. Vielmehr wird in beiden Institutionen sprachliche Kompetenz als Nebenprodukt der Auseinandersetzung mit Fachwissen verstanden.

Der Spracherwerb ist jedoch ein komplexer und langfristiger Aneignungsprozess, der als solcher strukturiert und begleitet werden sollte. Dabei bewegt er sich immer in einem Spannungsverhältnis zwischen externem Zwang und der Lockung, ein intrinsisches Interesse daran zu entwickeln. Für Ehlich stellt – wenig überraschend – die alltägliche Wissenschaftssprache dabei ein zentrales Brückenkonzept dar.

Der Tenor dieses Vortrags war damit mehr oder weniger derselbe wie der des vorherigen und auch aller anderen Vorträge an diesem Tag: Schreibkompetenz ist zentral für wissenschaftliches und professionelles Arbeiten. Sie muss in einem lebenslangen Aneignungsprozess entwickelt werden, der bislang an Schulen und Hochschulen unzureichend begleitet und angeregt wird.

Gefehlt haben mir in diesem Vortrag jedoch die konkreten “Überlegungen zum Übergangsmanagement”. Ehlich blieb doch sehr abstrakt und theoretisch, sodass sich ich für meine beraterische und didaktische Praxis kaum konkrete Ideen und Anregungen ableiten konnte.

Wissenschaftliches Schreiben und kritisches Denken (O. Kruse)

Ähnlich theoretisch blieb Otto Kruse in seinem Vortrag über den Zusammenhang zwischen wissenschaftlichem Schreiben und kritischem Denken. Kruse begann mit der fast schon ketzerischen Frage, warum wir eigentlich so viel Wert auf das Schreiben legen und ob es nicht eigentlich ein “alter Zopf” aus der Ära Humboldts sei, der mit seinen Unzugänglichkeiten nicht länger in die Zeit passe. Wenig überraschend entpuppte sich dies als rhetorische Frage. Diese Schwierigkeiten seien Kruse zufolge gewollt, da sie uns dazu zwingen, uns nicht nur mit dem Schreiben, sondern auch mit dem Denken intensiv auseinanderzusetzen.

Wie die Schreibkompetenz gilt die Denkkompetenz meist als Nebenprodukt, das sich in der fachlichen Auseinandersetzung automatisch einstellt. Zudem gibt es zwar viele Absichtserklärungen und Mission-Statements von Schulen und Hochschulen, ihren Schülern kritisches Denken zu vermitteln, aber wenige Ideen zu einer konkreten Umsetzung oder Didaktik. Ein zentraler Punkt ist dabei für Kruse die notwendige “Metakompetenz”, die einem selbstständigen Denken zugrunde liegen muss.

Für Kruse ist das kritische Denken wie auch das Schreiben eine Kompetenz, die nicht vollständig didaktisierbar ist. Die sich also nicht in praktische kleine Päckchen zerlegen und dann in einem Lehrbuch gebündelt vermitteln lässt. Sie basiert vielmehr auf einem komplexen Aneignungsprozess, der eingefordert und gleichzeitig durch Anleitung, Kommunikation und Feedback begleitet werden muss. Für ihn stellt demnach das Scaffolding einen wertvollen Ansatz dar.

Seinen abschließenden Vorschlag für die systematische Einbindung des kritischen Denkens in das Studium fand ich dann auch überzeugend: lieber wenig, dafür kontinuierlich und mit Köpfchen. So könnten beispielsweise für jedes Semester entsprechende Seminare identifiziert werden, die hier einen Schwerpunkt setzen.

Leider ging Kruse in seinem Vortrag kaum auf die Verbindung zwischen dem Schreiben und dem kritischen Denken ein. Auf Nachfrage führte er dann aber auch noch ein paar Argumente an, warum dem Schreiben hier eine besonders zentrale Rolle zufällt: So entlastet das Schreiben das Kurzzeitgedächtnis und macht so Raum frei für neue Gedanken und Ideen. Gleichzeitig macht es das Denken sichtbar und es wird so einer Überarbeitung zugänglich. Schließlich zwingt es auch dazu, die Gedanken zu linearisieren und damit zu priorisieren und zu hierarchisieren. So entsteht eine “Interaktion mit dem Papier”, in der Gedanken weiter entwickelt werden können.

Trotz vieler spannender Anregungen – gerade zur Einbettung in Studiengänge – fehlte mir ein wenig das eigentliche Thema, die Verbindung zwischen Schreiben und Denken. Hier hätte ich mir mehr konkrete Ideen und Argumentationshilfen erhofft.

Wie der Einstieg in das wissenschaftliche Schreiben erleichtert werden kann und wie das Schreiben den Einstieg erleichtern kann (S. Lahm)

Nach der knapp kalkulierten Mittagspause und einigen interessanten Gesprächen an unserem Infostand ging es dann in drei unterschiedliche Foren. Ich hatte mich für das von der Uni Bielefeld bespielte Forum entschieden, in dem es auch wieder um den Zusammenhang zwischen Schreibdidaktik und Fachlehre gehen sollte.

Nach einer kurzen Einführung durch Swantje Lahm zu Denkgemeinschaften als Schreibgemeinschaften und den unterschiedlichen Zugängen zum Schreiben in den Fächern (Schreibprozess, Textsorten, Rhetorik, Diskurs und Inhalt) ging es dann in eine noch kleinere Gruppe, die sich mit den Zugang über den Diskurs auseinandersetze.

Zentrales Thema war dann hier der Versuch, das Vorgehen von “Experten” für die Studierenden transparent zu machen, damit sie es verstehen und imitieren können. Dazu müssen sich die Lehrenden jedoch erst mal ihrer eigenen Praxis bewusst werden und lernen, Implizites explizit zu machen. Nur so können die verborgenen Strukturen gehoben und schließlich auch den Studierenden zugänglich gemacht werden.

Besonders hilfreich ist dabei das Zerlegen komplexer Arbeitsprozesse in einzelne Teilschritte und die Studierenden bei diesen Teilschritten dann strukturiert und eng geführt zu unterstützen.

Writing-Centered Course Design: Increasing Comprehension and Retention of Learning through Low- and Mid-stakes Writing (J. Webster)

Zum Abschluss gab es dann noch einen äußerst inspirierenden Vortrag von John Webster von der University of Washington. Hier merkte man dann auch gleich den Unterschied zu den sehr akademisch-abstrakten Vorträgen aus dem deutschsprachigen Raum. Statt Theorien und Forderungen stellte Webster seine eigene Arbeit vor, in der er fachliche Vermittlung und Schreib- wie Denkdidaktik miteinander verbindet. Damit löste er das ein, was die Vorträge von Kruse und Ehlich versprachen bzw. forderten.

Webster ist ein großer Verfechter des Low-Stakes-Writing, also eines Schreibens, das nicht auf die Bewertung und die Prüfung ausgerichtet ist, sondern die persönliche Reflexion und Auseinandersetzung mit den fachlichen Inhalten. Dabei gibt er seinen Studierenden regelmäßig kurze Schreibaufgaben (1 Absatz bis 2 Seiten), die den Lernprozess ganz im Sinne Otto Kruses klar strukturieren und begleiten. Auf diese Weise sollen Denkprozesse ausgelöst und inhaltliche Diskussionen in der Veranstaltung vorbereitet werden.

Webster ist zudem kein Freund der klassischen Korrektur oder des Feedbacks, für ihn ist es gar eine Barriere im Lernprozess. Er hält es für wesentlich sinnvoller, diese Texte exemplarisch zu lesen und der ganzen Gruppe zusammenfassendes Feedback zu geben oder Mechanismen des Peer-Feedbacks einzusetzen. Auf diese Weise lassen sich auch in großen Veranstaltungen mit vielen Schreibaufgaben die Textmengen für Lehrende bewältigen.

Auf diese Weise will Webster nicht nur eine intensivere Auseinandersetzung mit fachlichen Inhalten anregen, sondern bei den Studierenden auch das Bewusstsein dafür schaffen, dass Schreiben integraler Bestandteil des Denkens sein kann bzw. sollte. Zudem werden die Texte seiner Erfahrung nach trotz des fehlenden individuellen Feedbacks im Laufe der Zeit wesentlich besser und eben nicht in erster Linie auf Korrektheit ausgerichtet. Schließlich bieten solche Schreibaufgaben auch die Möglichkeit, Metakognition auszubilden, weil sie die Studierenden zwingen können, ihren Arbeits- und Lernprozess zu reflektieren.

Auch wenn er der am wenigsten akademische Vortrag war, ist es derjenige, aus dem ich mit Sicherheit am meisten mitnehme. Die Überlegungen, wie sich diese Ideen in das Modul integrieren lassen, das ich gerade unterrichte, sind schon in vollem Gange.

Fazit

Wow, diese Zusammenfassung ist dann doch länger geworden, als ich das gedacht hatte, aber so kann ich immer wieder zu den vielen Denkanstößen zurückkommen.

Außerdem habe ich einen ersten Blick in eine lebendige Community mitgenommen, die in Deutschland noch am Anfang ihrer Reise zu stehen scheint. Hier zeigte sich auch mal wieder, dass “wir Deutschen” dazu neigen, praktische Probleme wie die Vermittlung von Schreibkompetenz sehr verkopft anzugehen und akademisch zu denken. Der US-amerikanische Vortrag basierte auf einer eher praktischen Perspektive, die erst im zweiten Schritt theoretisch eingebettet wurde.

Hier brauchen wir in Deutschland in meinen Augen noch mehr Pragmatismus und Mut, Dinge auszuprobieren und aus den Erfahrungen zu lernen. Die engen Vorgaben aus den zu akkreditierenden Studiengängen und das vorherrschende Antragswesen sind dabei leider nicht sonderlich förderlich. Aber das wäre ein Thema für eine eigene Tagung…

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