Mittlerweile habe ich jedes Jahr wieder die Freude, mich mit vielen Brettspiel-begeisterten Menschen ein langes Wochenende irgendwo im hessischen Hinterland in einem Jugend-(ähem räusper) Gästehaus einzuquartieren und dort an nichts anderes denken zu müssen, als an Brettspiele. Dieses Jahr war es über Pfingsten so weit und ich habe mich mal wieder durch sechs komplexe Spiele gewühlt. Hier meine Eindrücke nach jeweils einer Partie:
Endeavor – Die Tiefsee


Gleich nachdem ich am Freitag angekommen war und mein Bett im Dreierzimmer bezogen hatte, ging es auch schon in die erste Runde: Endeavor – Die Tiefsee. Hier verwalten die Spieler*innen eine Flotte von Forschungsubooten und deren Crew.
Im Mittelpunkt des Spiels steht dabei eine Kombination aus Spieler-Aktionen bzw. Worker-Placement und Erkundung: Insgesamt bis zu 25 Meeresfelder können im Laufe der Partie aufgedeckt und angelegt werden, auf denen verschiedene Aktionen zur Verfügung stehen und gleichzeitig auf unterschiedliche Weisen Siegpunkte gesammelt werden können. Natürlich dürfen auch die obligatorischen Entwicklungsleisten nicht fehlen, die aber sehr clever mit dem Spiel verzahnt sind: Sie bestimmen über die Anzahl der Aktionen, die Bewegungsreichweite der U-Boote und die Qualität der Crew-Mitglieder, die man rekrutieren kann. Schließlich sorgen zufällig ausgewählte Zielkarten für Abwechslung zwischen den Partien.
In der Kombination dieser Elemente entsteht ein schöner Spielfluss mit gewisser Downtime, die ich aber für mein eigenes Denken gut gebrauchen konnte: „Wie komme ich jetzt an eine Aktion Meeresschutz (aka ‚Schildkröten-Kraulen‘), wo ich doch meinen Kapitän schon brauche, um zu dem Feld hinzufahren?“ oder versuche ich doch lieber, in bislang unbekannte Tiefen vorzudringen, um dort vielleicht ein neues interessantes Ziel freizuschalten?
Ich mochte dabei besonders den Erkundungsmechanismus, der die ganzen formalen Mechaniken angenehm rahmt und ein frisches Gefühl gibt. Das Spiel ist auch noch insofern besonders, als man es sowohl gegeneinander als auch kooperativ spielen kann. Meine eine Partie war kompetitiv, den Rückmeldungen anderer zufolge funktioniert die kooperative Spielweise aber sogar noch besser,
Minos


Am nächsten Morgen ging es gleich nach dem Frühstück dann in die Ägäis und nach Kreta, ein eigenes antikes Imperium aufbauen. Hier spielen Dice-Placement, Ressourcen- und Aktions-Management sowie Entwicklungsleisten, Aktionskarten und eine kleine Karte zusammen, auf der man sich bewegen und Gebäude errichten kann, zusammen.
Anhand der Menge an Plättchen und Symbolen auf dem Spielbrett seht ihr vermutlich schon, dass Minos nochmal ein Level komplizierter ist als Endeavor und für mich nicht auf die gute Weise (Hallo neuer Anglizismus!): Gerade gegen Ende ergeben sich unglaublich lange Wirkungsketten, die über vier Stationen führen, nur um dann doch noch eine weitere Bauaktion freizuschalten. Das ist dann Kompliziertheit um der Kompliziertheit Willen und nicht so wirklich meins. Da sich die Runde – inklusive Erklärung – dann auch über fast fünf Stunden zog, war das leider nicht so mein Spiel.
SETI


Aus der Ägäis startete dann ohne Pause eine Sonde in den Weltraum, auf der Suche nach außerirdischem Leben. SETI verbindet ein kartenzentriertes Gameplay à la Terraforming Mars mit Technologie-Entwicklung, Bewegung durch das rotierende Sonnensystem und schließlich dem Entdecken neuer Alien-Rassen, die nochmal neue Mechaniken in das Spiel bringen.
So schicken wir Spieler*innen Sonden durch das Sonnensystem, um Planeten zu umkreisen oder auf ihnen zu landen. Wir scannen ferne Sonnensysteme, analysieren Daten und finden Spuren außerirdischer Zivilisationen. Das Ganze macht eine Menge Spaß, auch weil die Mechaniken geschickt miteinander verzahnt sind, und sich im Laufe des Spiels immer neue Optionen ergeben.
Ich merke überhaupt, dass diese Art von Spiel mir sehr liegt, bei der nicht von Anfang an alles vorbestimmt ist und offen liegt: Spiele, bei denen neue Möglichkeiten entstehen, überraschende neue Mechaniken eingebracht werden und ich nicht so sehr langfristig vorausberechnen muss, sondern eine stabile Grundlage aufbauen und von der aus flexibel agieren kann – eben eher Endeavor und SETI als Minos. Auch die SETI-Runde dauerte allerdings rund fünf Stunden, weswegen damit der Samstag dann auch schon voll war.
Astrobienen

Sonntag ging es dann mit zwei Spielen der Kategorie 2-Stunden pro Runde weiter. Eines davon mit einem einfach nur genialen Setting: Bienen im Weltraum. Mechanisch kombiniert das Spiel relativ klassisches Worker-Placement mit Engine-Building und Ressourcenmanagement. Kompetent gemacht und aufgepeppt durch einen Lebenszyklus für die einzelnen Bienen, bei dem diese erst immer stärker werden, dann aber schließlich sterben.
Von all den komplexen Spielen in diesem Beitrag hat sich Astrobienen am wenigsten komplex angefühlt: ein tolles Thema, fluffiges Spielgefühl und ein, zwei clevere Mechaniken – vermutlich ein guter Einstieg in das Feld der Expertenspiele.
Blumenstraße


Das zweite Spiel am Sonntag führte mich dann in die eher klischeehaften Niederlande zu Tulpen und Windmühlen. Auf einem … sagen wir … eher pragmatisch gestalteten Brett geht es darum, bunte Tulpen in möglichst farbechten Reihen anzupflanzen und diverse Mechaniken auszunutzen, um dies besonders gut tun zu können.
Zentrum des Spiels sind hier die beiden Mühlräder, die sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten drehen, die möglichen Aktionen vorgeben und durch ihre Drehungen auch den Fortschritt und das Ende des Spiels bestimmen. Da beide Räder auch durch weitere Plättchen ausgebaut und die möglichen Aktionen auf diese Weise ausgetauscht oder verbessert werden können, entsteht zusammen mit dem Puzzeln der Tulpen eine grundsätzlich interessante Dynamik, die mich aber irgendwie nicht so wirklich hat fesseln können.
Im Kern ein kompetentes Spiel, bei dem das Thema allerdings sehr klischeehaft-lieblos aufgesetzt wirkt.
Beyond the Horizon


Bevor es wieder heimwärts ging, kam am Montag noch Beyond the Horizon auf den Tisch – zum Abschluss nochmal ein Highlight, so muss das sein … Das Spiel nutzt das Genre des Empire-Building und kombiniert im Kern ein technologiebaum-basiertes Worker-Placement mit einer Karte, auf der Siedler und „Soldaten“ Dörfer, Städte und andere Gebäude bauen. Dabei gilt es, zwei Ressourcen auszubalancieren: aktive Arbeiter und Geld.
Diese können in diversen Kombinationen genutzt werden, um Technologien zu entdecken, neue Ressourcen zu gewinnen, Siedler oder „Soldaten“ zu rekrutieren, die eigene Engine zu stärken oder eben auf der Karte zu entdecken oder zu bauen. Mit den Technologien gibt es auch hier wieder ein im Kern zufallsbasiertes System, später im Spiel neue Mechaniken einzuführen, was ja für mich dieses Jahr ein Qualitätskriterium zu sein scheint …
Beyond the Horizon findet hier für mich eine sehr schöne Balance aus dem Aufbau einer „gesunden Wirtschaft“, die es dann erlaubt, auf die unterschiedlichen Möglichkeiten, die sich ergeben, zu reagieren. Die begrenzten Aktionen und die Mechaniken rund um die Karte sorgen dabei auch für ein angenehmes Maß an Interaktion und Konflikt zwischen den Spieler*innen, auch wenn hier nicht direkt gegeneinander gekämpft wird.
Das waren mal wieder drei spannende Tage, an denen die Welt angenehm zusammenschrumpft, einfach verstehbar wird und es reicht, in einem Horizont von ein paar Zügen zu denken. Manchmal wünsche ich mir das echte Leben genau so.
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