Im Studium schreiben wir mindestens zwei Abschlussarbeiten, idealerweise aber noch mehr: zum Beispiel Berichte, Protokolle oder Hausarbeiten. Die Idee ist, dass die Hochschule uns damit auf das Schreiben nach dem Studium vorbereitet – sei es innerhalb oder außerhalb der Wissenschaft. Und jetzt kommt Larry McEnerny, Leiter des Schreibzentrums an der University of Chicago, und sagt mehr oder weniger diplomatisch: alles Mist.
Seine zentrale These: Im Studium schreiben wir für Leser*innen, die dafür bezahlt werden, sich dafür zu interessieren, was wir wissen und denken. Entsprechend schreiben wir das, was in unserem Kopf ist auf und nennen es einen fertigen Text. Was wir dabei nicht lernen, ist unseren Text an der Motivation der Leser*innen auszurichten. Also ihnen einen Grund zu geben, unseren Text zu lesen. Sie wollen nicht wissen, was wir denken, sondern z. B. unterhalten werden oder ein Problem lösen, mit dem sie sich gerade rumschlagen:
Während diese Perspektive für das Schreiben außerhalb der Wissenschaft noch wenig kontrovers ist, geht McEnerny noch weiter. Er fasst auch das wissenschaftliche Schreiben in erster Linie funktional auf: Wissenschaftler*innen müssen publizieren. Punkt. Also gilt es, die Erwartungen der entsprechenden wissenschaftlichen Community zu erfüllen – also in erster Linie der Herausgeber*innen entsprechender Journals.
Auch hier geht es um Probleme und Lösungen – nämlich das kollektive Verständnis eines bestimmten Themas. Aber es geht eben auch um soziale Konventionen und eine etablierte Sprache, an der man sich besser orientiert, wenn man seine Texte veröffentlicht sehen will:
Das ist natürlich keine idealistische Position. Sie widerspricht der Idee der objektiven Wissenschaft, die nur am Fortschritt der Erkenntnis sowie neuen Ideen und Gedanken interessiert ist, und rückt die profane Motivation der Akteure in den Mittelpunkt. McEnerny ist sich dessen bewusst, sagt aber eben auch, dass wissenschaftliche Karrieren aktuell eben nur auf diese Weise funktionieren. Das ist zwar schade, aber wenn man seine Rechnungen bezahlen möchte, leider Realität.
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