Der Begriff Raum ist in aller Munde, wenn es darum geht, Zusammenhänge zu gestalten, in denen Menschen zusammenkommen und miteinander interagieren. So gehört “Wir möchten einen Raum schaffen, der…” oder “Wir bieten einen Raum, in dem…” zu den klassischen Phrasen jeder Konferenz und jedes Barcamps. Doch was meinen wir überhaupt, wenn wir von einem Raum reden? Was unterscheidet ihn von einer Möglichkeit, einer Plattform oder einem Konferenzsaal? Ist der Begriff gar so beliebig geworden, dass er nur noch als Platitüde funkioniert? In dieser Artikelreihe möchte ich aufzeigen, wie uns der Begriff des Raums helfen kann, Kontexte zu gestalten, in denen Menschen miteinander oder mit der Welt um sich herum interagieren.
Dieser Artikel soll herausarbeiten, dass Raum unterschiedliche Bedeutungen haben kann, und dafür sensibilisieren, dass diese mit unterschiedlichen Implikationen für die aktive Gestaltung von Raum verbunden sind. Diese etwas theoretische Herangehensweise ermöglicht es mir, ein abstraktes und präziseres Konzept von Raum zu formulieren, auf dessen Grundlage der zweite Artikel eine Liste von vier Dimensionen vorstellen wird, die sich an einem Raum betrachten lassen. Der dritte Artikel schließt dann mit den praktischen Implikationen dieser Herangehensweise und entwickelt einige Prinzipien der Gestaltung analoger wie digitaler Räume.
Diese Artikelreihe basiert auf dem Vortrag Analoge und digitale Räume schaffen und gestalten, den ich am 14. Juni 2015 auf dem stARTcamp ruhr york im Dortmunder U gehalten habe.
Was ist das, ein “Raum”?
Je nach Kontext werden sehr unterschiedliche Dinge als Raum bezeichnet: Das kann ein einzelnes Zimmer sein, begrenzt von Wänden, einer Decke und einem Boden und zu betreten durch eine oder mehrere Türen. Das kann aber auch ein Veranstaltungsort wie das Dortmunder U sein oder eine Veranstaltung wie das stARTcamp. Auch das Internet wird oftmals als Raum bezeichnet und selbst einzelne Plattformen wie Facebook oder Twitter lassen sich als Räume bezeichnen und interpretieren. Aber was haben all diese Dinge gemeinsam, dass sie unter denselben Begriff fallen können?
Naheliegend wäre beispielsweise eine Betrachtung, die die physische Ausdehnung in den Mittelpunkt rückt: die Wände des Zimmers, das Gelände des U oder die Räume, in denen das stARTcamp stattfindet. Unter diesen Umständen bleiben jedoch digitale Räume außen vor. Eine weitere Perspektive wäre die Unterscheidung von Innen und Außen. Hierbei gäbe es eben die Möglichkeit festzustellen, ob jemand sich innerhalb oder außerhalb eines Raumes befindet. Dies würde physische wie digitale Räume einschließen, öffnet den Begriff aber zu weit.
Hinzu kommt, dass beide Dimensionen nicht übereinstimmen müssen: So findet ein wichtiger Teil des stARTcamps auf Twitter statt, worüber auch Personen Teil des Raums stARTcamp werden können, die nicht im Dortmunder U anwesend sind. Gleichzeitig werden die Besucher des U, die zufällig die Veranstaltungsräume betreten oder durchqueren, nicht automatisch Teil des stARTcamps. Um diese Widersprüchlichkeiten auflösen, bedarf es eines Blicks in die Ideengeschichte des Begriffs Raum.
Absoluter oder “Container”-Raum
Die Idee des Raums als einer abgeschlossenen und physisch begrenzten Einheit findet sich am deutlichsten formuliert bereits bei Aristoteles, für den Raum die “Grenze des umgebenden Ganzen” bezeichnet. Dieser Raum wird wird also durch seine physischen Grenzen definiert und dient als Behältnis für Ereignisse und Entwicklungen.
Entsprechend existiert für Aristoteles der Raum “objektiv” und unabhängig von dem, was in ihm passiert. Diese Idee des Raums als Container prägt in den folgenden Jahrhunderten nicht nur die Philosophie, sondern auch die Mathematik und die Physik. Euklids Ausarbeitung mathematischer Gesetzmäßigkeiten setzt den gegebenen Raum ebenso voraus wie die physikalischen Regeln, die Isaac Newton formuliert.
Raum als Ordnungsprinzip
Der Idee des Containerraums diametral gegenüber steht das Verständnis von Raum, das Immanuel Kant formuliert. Für ihn bezeichnet ein Raum nicht eine abgegrenzte Einheit, sondern vielmehr ein grundlegendes Ordnungsprinzip, das es uns erlaubt, die Welt wahrzunehmen. Es ermöglicht relationale Begrifflichkeiten wie “neben”, “über” oder “unter” und erlaubt uns davon zu sprechen, Dinge seien “nah” oder “weit entfernt”.
In diesem Raumverständnis macht es keinen Sinn von Räumen im Plural zu reden, da es sich um ein übergreifendes und universelles a priori der menschlichen Wahrnehmung handelt. Der Raum als Prinzip ermöglicht es uns, Dinge zueinander in Beziehung zu setzen und auf diese Weise der Welt um uns herum einen Sinn abzugewinnen.
Relationaler oder sozial konstruierter Raum
Die dritte und modernste Perspektive auf den Raum ist der soziologischen Raumtheorie entnommen und fügt der Idee des Containerraums eine Dimension der sozialen Konstruktion hinzu während sie gleichzeitig die Relationalität des des kantschen Raumprinzips aufgreift. Dem relationalen Raumbild zufolge, definieren sich soziale Räume durch die Relationen und die Wechselwirkungen zwischen Personen und Objekten. Ein Zimmer wird aus dieser Perspektive dann zu einem Raum, wenn sich innerhalb seiner vier Wände Menschen miteinander und/oder mit Objekten in Beziehung setzen – wenn sie kommunizieren, dasselbe Problem bearbeiten oder auch nur die Gemälde an der Wand betrachten.
Räume werden damit von starren Containern sozialer Prozesse zu einem Resultat ebensolcher Entwicklungen. Sie werden maßgeblich dadurch bestimmt, wie die Menschen in ihnen interagieren, wie sie über den Raum denken und sprechen und wie sie ihn selbst aktiv gestalten. Sie sind damit nicht mehr eine objektiv gegebene Eigenschaft der physischen Welt, sondern einer kontinuierlichen sozialen Dynamik unterworfen. Als sozial etablierte Konstrukte können sie ein gewisses Maß an Stabilität erlangen, unterliegen jedoch auch immer der Möglichkeit eines grundlegenden Wandels.
Dieses relationale Raumverständnis wird der zweite Artikel dieser Reihe zum Ausgangspunkt nehmen und aufzeigen, wie sich diese abstrakte Perspektive durch die Festlegung von vier Dimensionen konkretisieren lässt. Auf diese Weise schlägt der folgende Beitrag die Brücke von den theoretischen Überlegungen dieses Artikels zu den praktischen Hinweisen des dritten.
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